Mensch vs. KI: Eine überholte Frage?
Die Frage, wer die besseren Texte schreibt – der Mensch oder die Künstliche Intelligenz – wird immer drängender. Wie Prof. Dr. Doris Weßels treffend bemerkt, fällt die Antwort "immer schwerer, wenn wir uns den 'Wettbewerber' KI anschauen, der vor keinem literarischen Genre bis hin zu wissenschaftlichen Publikationen Halt zu machen scheint." [1] Die jüngsten Entwicklungen unterstreichen dies: Berichte über neue KI-Modelle von OpenAI, die besonders im kreativen Schreiben leistungsfähig sein sollen [2, 3], oder der "KI-Skandal" in Estland, bei dem ein KI-generierter Text einen Essay-Wettbewerb gewann [1, 4], zeigen, wie weit die Technologie bereits entwickelt ist. Selbst im wissenschaftlichen Publizieren betreten wir mit Tools wie STORM oder den Deep Research-Angeboten von Google und OpenAI eine "neue Ära" [1].
Die eigentliche Frage: Eine Frage der Technik?
Angesichts dieser Fortschritte möchte ich die These vertreten: Die Frage, wer den "besseren" Text formuliert, ist in ihrer klassischen Form nicht mehr zielführend. Wenn wir Technik im altgriechischen Sinne von "techne" verstehen – als handwerkliche Umsetzung, als technische Fähigkeit –, dann müssen wir anerkennen: Die Technik, insbesondere die KI, ist uns in so vielen Bereichen bereits überlegen. Der Vergleich der reinen handwerklichen Qualität wird entsprechend zunehmend obsolet.
Hans Jonas hat im "Prinzip Verantwortung" formuliert: "Durch die Art und die schiere Größe ihrer Schneeball-Effekte treibt technologische Macht uns vorwärts zu Zielen einer Art, die früher das Reservat von Utopien war." (S. 54) [5]
Diese technologische Macht manifestiert sich nun auch im Schreiben. Sie überholt uns in der Geschwindigkeit, im Zugriff auf Informationen und oft auch in der stilistischen Anpassungsfähigkeit. Die KI disruptiert, wie Weßels feststellt, den "gesamte[n] Prozess des wissenschaftlichen Publizierens durch den weltweiten und in der Regel sehr intransparenten KI-Einsatz" [1].
Der neue Massstab: Der persönliche Point of View
Wenn die technische Überlegenheit der KI zumindest in Reichweite ist oder bereits existiert, was bleibt dann dem menschlichen Schreiben? Ich argumentiere, dass wir neue Parameter für die Bewertung von Textarbeit brauchen. Der entscheidende Faktor wird zunehmend der persönliche "Point of View" (PoV) des Verfassers: Was erzählt uns diese spezifische Person aus ihrer einzigartigen Perspektive, geprägt von ihren Erfahrungen, Emotionen und ihrem individuellen Denkprozess?
Dies steht im Kontrast zu einer Entwicklung, die in der FAZ angedeutet wird: "Je weiter wir in das digitale Zeitalter vordringen, desto mehr geht das Interesse an der konkreten anderen Person verloren." [4] Vielleicht ist die Betonung des authentischen menschlichen PoV gerade die Antwort darauf. Ingmar Bergmans Glaube an das ewige "Interesse des Menschen am Menschen" [4] könnte durch die Fokussierung auf das Unverwechselbare in der menschlichen Perspektive neue Bedeutung finden. Im estnischen Essay-Wettbewerb war es bezeichnenderweise "kein atmender Mensch, sondern ein hastig erstelltes digitales Konstrukt", das Sorgen um die Zukunft formulierte [4]. Die Art der Formulierung, der dahinterstehende Erfahrungshorizont, fehlte.
Der Wert des menschlichen Dialogs
Was unterscheidet diesen menschlichen PoV fundamental von einer KI-generierten Perspektive? Es ist der Dialogcharakter im weitesten Sinne. Ein Gespräch mit einer KI kann informativ sein, basierend auf riesigen Datenmengen (manchmal akkurat, manchmal halluziniert). Was ihm jedoch fehlt, ist die sinnliche, emotionale und ganzheitliche Ebene.
Im Dialog von Mensch zu Mensch erleben wir mehr als nur Worte. Wir nehmen Emotionen wahr, sehen Mimik, spüren die Atmosphäre. Wir können die Entwicklung eines Gedankens oft als einen "ganzheitlichen organischen Prozess" nachvollziehen – eine Verflechtung von Logik, Gefühl und körperlichem Ausdruck. Genau diese organische Entwicklung, dieses Ringen um Formulierung und Erkenntnis, prägt den menschlichen PoV. Er mag nicht die umfassende Breite einer KI haben, dafür besitzt er eine Tiefe und Authentizität, die aus einem gelebten, gefühlten Dasein entspringt. Er ist "holistischer" in seiner Verankerung im menschlichen Sein.
Herausforderung für die Wissenschaft
Gerade für die Wissenschaft stellt dies eine immense Herausforderung dar. Das wissenschaftliche Ideal strebt traditionell nach Objektivität und einer neutralen, beobachtenden Perspektive. Wie kann hier ein "persönlicher Point of View" Platz finden, ohne die wissenschaftliche Methodik zu kompromittieren? Doch genau darin liegt eine der zentralen Aufgaben: Wege zu finden, wie die unverwechselbare menschliche Perspektive – die des Forschers, der Forscherin – in den wissenschaftlichen Diskurs integriert werden kann, ohne an wissenschaftliche Qualität zu verlieren. Es geht nicht um subjektive Beliebigkeit, sondern um die Anerkennung, dass auch wissenschaftliche Erkenntnis durch einen menschlichen Filter entsteht und dieser Filter selbst Teil des Erkenntnisprozesses ist.
Schlussfolgerung
Die Debatte "Mensch vs. KI" im Textschreiben verschiebt sich. Nicht mehr die technische Perfektion allein steht im Vordergrund, denn hier zieht die KI gleich oder vorbei. Die Zukunft des wertvollen menschlichen Schreibens liegt in seiner Einzigartigkeit – dem persönlichen Point of View, der aus der Tiefe menschlicher Erfahrung, Emotion und organischer Gedankenentwicklung schöpft. Es geht darum, sich auf den Dialog von Mensch zu Mensch zu besinnen und die Qualitäten zu kultivieren, die uns von Maschinen unterscheiden: unsere gelebte Perspektive, unsere Fähigkeit zu Empathie und unser ganzheitliches Verständnis der Welt. Die wahre Kunst wird darin liegen, diese menschliche Essenz im Text sichtbar und erfahrbar zu machen.
Referenzen
[1] Weßels, Doris. LinkedIn Post. [https://www.linkedin.com/posts/doris-weßels-66a47711_kish-activity-7310666247011028992-CULl?rcm=ACoAAAVCzTgBWFn53SW-xM_TbZyDjpXVO9NltbM] (Zugriff am 31.03.2025)
[2] The Guardian. "ChatGPT firm reveals AI model that is 'good at creative writing'". [https://www.theguardian.com/technology/2025/mar/12/chatgpt-firm-reveals-ai-model-that-is-good-at-creative-writing-sam-altman] (Zugriff am 31.03.2025)
[3] Weßels, Doris. LinkedIn Post, Bezug auf The Guardian vom 12. März. [https://www.linkedin.com/posts/doris-weßels-66a47711_kish-activity-7310666247011028992-CULl?rcm=ACoAAAVCzTgBWFn53SW-xM_TbZyDjpXVO9NltbM] (Zugriff am 31.03.2025)
[4] Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Nur die Maschine versteht uns noch". [https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien-und-film/ki-gewinnt-essay-wettbewerb-in-estland-110376583.html] (Zugriff am 31.03.2025)
[5] Jonas, Hans. Das Prinzip Verantwortung. Suhrkamp Verlag.
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